Mitten im Nationalpark Hohe Tauern entsteht auf 2000 Metern Höhe eine der modernsten Wasserkraftanlagen Österreichs. Das geht nur, weil sie unsichtbar ist.
Grüne Energie ist weder kostenlos noch unsichtbar, sagen die Realisten der Energiewende. Beim wohl komplexesten aktuellen Kraftwerksprojekt in Österreich, dem Bau des Pumpspeicherkraftwerks Tauernmoos im Pinzgau, stimmt das jedenfalls nur zum Teil: Von dem in Summe satte 300 Millionen Euro teuren Bauvorhaben der ÖBB wird nach seinem Abschluss nichts mehr zu sehen sein. Die Grundidee ist bestechend einfach, die bauliche Umsetzung „eine große Herausforderung für Mensch und Maschine“, wie es SWIETELSKY-Vorstandsvorsitzender Karl Weidlinger beim Baustart Ende November formulierte.
Bahnstrom sauber und selbst produziert
Denn in Sichtweite des höchsten Berges Österreichs, des Großglockners, wird ein aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts stammendes Speicherkraftwerk gepimpt: Der Speicher Tauernmoossee im Nationalpark Hohe Tauern wird mit dem Kraftwerk Enzingerboden seit 1929 zur Stromgewinnung (Leistung 80 MW) genutzt. Der um 220 Meter höher gelegene Weißsee dient bis heute nur als Vorspeicher. Diese Höhendifferenz macht sich das neue Pumpspeicherkraftwerk zunutze, denn der Energiehunger der Eisenbahn unterliegt starken tages- und wochenzeitlichen Schwankungen: Bei geringer Nachfrage kann überschüssiger Strom genutzt werden, um Wasser in das höher gelegene Speicherbecken zu pumpen, damit es bei Bedarf wieder die Turbinen antreibt und Strom erzeugt. Um genau zu sein: Bahnstrom. Die ÖBB produzieren nämlich den Strom für ihre Züge (einphasig, Frequenz 16,7 Hz, verteilt über ein 2000 km langes 110-kVNetz) sauber und selbst: Von insgesamt zehn Wasserkraftwerken in Österreich bilden die vier Bahnstromkraftwerke im Salzburger Stubachtal die größte und leistungsstärkste Kraftwerksgruppe der ÖBB. Sie erzeugt knapp zwanzig Prozent der im österreichischen Bahnstromnetz benötigten Energie für den Antrieb von Güter- und Personenzügen; mit dem neuen Kraftwerk werden es 25 Prozent sein. In Summe wird der Bahnstrombedarf der ÖBB zur Gänze aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt.
Bauarbeiten unter extremen Bedingungen
Doch zurück ins Hochgebirge. Hier steht den Mineuren von SWIETELSKY ein aus mehreren Gründen spezieller Lebensabschnitt bevor, weiß Projektleiter Harald Kogler von SWIETELSKY-Tunnelbau und nennt besondere bauliche Herausforderungen: „Die Höhenbaustelle erstreckt sich von 1500 bis 2250 Meter über dem Meeresspiegel. Es handelt sich um ein Schneeloch mit starkem Föneinfluss und Windstärken bis zu 200 Stundenkilometern. Die Herstellung der Einlaufbauwerke ist nur im Winter aufgrund der dann abgesenkten Stauseen möglich, und die Zufahrtsstraßen liegen teilweise im Lawineneinflussbereich.“ Insgesamt werden mehr als zehn Kilometer Tunnel durchs Gestein getrieben. Der Großteil ersetzt bestehende Seilbahnen oder Fußwege, die bisher Instandhaltungsarbeiten an den Anlagen behindert haben. 1,6 Kilometer lang wird der unterirdische Druckstollen zwischen Weißsee und Tauernmoossee, zum Teil stahlgepanzert: Er wird achtzig Kubikmeter Wasser pro Sekunde zum eigentlichen Herzstück der Anlage führen, dem im Schafbichl in einer Kaverne versteckten Kraftwerk. In dieser Höhle hätte ein zwölfgeschoßiges Wohnhaus Platz, seinen Raum werden ein Hallenkran, die zwei Pumpturbinen mit je 65 Megawatt Leistung, der Trafo, die Druckrohrleitungen, ein Leitstand, Werkstätten und ein Aufenthaltsraum einnehmen, samt Stiegenhaus und Lift.
Die von der Außenwelt unbemerkt jährlich erzeugten rund 460 Gigawattstunden (GWh) Energie – der Haushaltsbedarf von 270 000 Menschen – wird ebenfalls unsichtbar von der Kaverne zuerst knapp vier Kilometer durch den Erschließungstunnel zum Enzingerboden und anschließend erdgebunden ins vierzehn Kilometer entfernte Kraftwerksgelände der ÖBB Infrastruktur AG in Uttendorf geleitet. Ein Frequenzumformer sorgt dafür, dass Bahnstrom flexibel sowohl vom öffentlichen Netz (Austrian Power Grid, dreiphasig, 50 Hz) abgenommen als auch eingespeist werden kann. Warum der Bahnstrom anders ist als der Rest des Stromnetzes und weshalb ein Kraftwerk im Naturschutzgebiet niemanden aufregt, erklärt ÖBB-Infrastruktursprecherin Juliane Pamme im Interview.
ÖBB-Infrastruktursprecherin Juliane Pamme im Interview:
„Heute heißt es, Bahn fahren, CO2 sparen“
Warum betreiben die ÖBB eigene Kraftwerke?
Die ÖBB setzen seit über einhundert Jahren auf die umweltfreundliche Bahnstromerzeugung aus Wasserkraft und bauen den Anteil der Eigenerzeugung weiter aus. Während die Fahrgäste also bequem ihr Ziel erreichen, tragen sie gemeinsam mit den ÖBB zur Erreichung der nationalen Klimaziele bei. Schon jetzt ersparen sie so der Umwelt jährlich rund 4,2 Millionen Tonnen CO2. Rund ein Drittel des grünen Bahnstroms wird in acht ÖBB-eigenen Wasserkraftwerken und circa ein Viertel über Partnerwasserkraftwerke erzeugt. Der Rest wird am öffentlichen 50-Hertz-Markt mit Herkunftsnachweisen aus Erneuerbaren beschafft. Auch in den Ausbau von Photovoltaik wird investiert: 2015 ging das erste Bahnstromsolarkraftwerk der Welt im niederösterreichischen Wilfleinsdorf in Betrieb. Es ist die weltweit erste Photovoltaikanlage, die direkt in die 16,7-Hertz-Oberleitung einspeist. Mit der Jahresproduktion dieser Anlage können über 80 000 Fahrgäste von Wien nach Salzburg bewegt werden. Insgesamt haben wir in ganz Österreich derzeit einundzwanzig Photovoltaikanlagen für fünfzig Hertz und drei für 16,7 Hertz in Betrieb.
Wie grün ist der Energieerzeuger Bundesbahnen?
Seit 2018 setzen wir auf einhundert Prozent grünen Bahnstrom aus erneuerbarer Energie und seit 2019 versorgen wir auch unsere Bahnhöfe, Büros, Werkstätten und Containerkräne mit einhundert Prozent Strom aus erneuerbaren Energieträgern. Damit ist die ÖBB-Infrastruktur einer der umweltfreundlichsten Eisenbahn-Infrastrukturbetreiber in Europa.
Bahnstrom unterscheidet sich vom öffentlichen Stromnetz, beispielsweisedurch die Frequenz (16,7 statt 50 Hz). Warum?
Weil bei der Elektrifizierung der Eisenbahn zu Beginn des 20. Jahrhunderts die technischen Ansprüche auf dem damaligen technischen Entwicklungsstand mit fünfzig Hertz nicht gelöst werden konnten. Der 50-Hertz-Strom, der aus dem öffentlichen Netz bezogen wird, muss in den sieben Frequenzumformerwerken in Bahnstrom mit 16,7 Hertz umgewandelt werden. Das 2000 Kilometer lange Bahnstromnetz wird mit 110 000 Volt betrieben und verbindet die Kraft- und Umformerwerke mit den 62 Umspannwerken. Hier wird dann der Bahnstrom auf eine Spannung von 15 000 Volt transformiert und in die Oberleitung zur Versorgung der Züge eingespeist.
Bauvorhaben dieser Dimension sehen sich normalerweise mit allerlei Widerständen konfrontiert. Trotz der sensiblen Umgebung des Projekts gibt es allerdings keine Kritik. Wie ist Ihnen das gelungen?
Zum einen sind wir stets bemüht, die Auswirkungen für unsere Anrainer so gering wie möglich zu halten, wiewohl Bauvorhaben dieser Dimension leider nicht ohne Nachtarbeiten sowie Lärm und Staubentwicklung vonstattengehen können. Zum anderen sind wir bestrebt, die Öffentlichkeit in allen Projektphasen transparent und frühzeitig zu informieren. So stellen wir Interessierten zum Beispiel eine sogenannte „Infobox“ zur Verfügung eine kleine Ausstellung zum Projekt, die im Frühling 2021 eröffnet wird.
Wie sehen die bevorstehenden Bauphasen aus?
Am Enzingerboden wird seit Oktober 2020 an zwei Vortrieben für das Pumpspeicherkraftwerk Tauernmoos gearbeitet. Täglich werden hier in Summe bei den Zufahrtstunnels zum Tauernmoossee circa zwanzig Meter Vortrieb erreicht. Ab April 2021 wird auf bis zu fünf Vortriebe aufgestockt und im Laufe des Sommers auch der Kavernenausbau gestartet. Dies stellt auch gleich das bautechnische Highlight des Jahres 2021 dar. Im Freiland starten im Frühjahr die Schüttungen im Stausee. Gleichzeitig wird mit der Baustelleneinrichtung am Tauernmoossee begonnen. Als Renaturierungsmaßnahme ist im Sommer der Start für die Aufschüttung des alten Steinbruchs geplant. Der Erschließungstunneldurchschlag vom Enzingerboden zur Kaverne und zum Tauernmoossee findet ebenfalls im Sommer 2021 statt. Noch 2021 beginnen die Vortriebsarbeiten für den Kraftabstieg und die Vorbereitungen für die Herstellung der Ein- bzw. Auslaufbauwerke in den Speicherseen Tauernmoos und Weißsee. Sie sehen: Alles auf Schiene!
ZAHLENSPIELE
- Planungsbeginn: 2007
- Tunnelbau: ca. 10 500 lfm Vortrieb
- davon Kraftabstieg (wasserführend): ca. 1600 m (ca. 15 % Steigung)
- Kaverne: 73 m hoch, 25 m breit und 40 m hoch
- Ausbruch: ca. 48 000 m³
- Gesamtausbruchsvolumen: ca. 385 000 m³
- Spritzbeton: ca. 50 000 m³
- Konstruktionsbeton: ca. 80 000 m³
- Geplante Fertigstellung: 2025