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Stolzgeschwellte Ortsbrust

24.11.2021, Lesezeit 5 Minuten
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Wenn der Mensch verbindet, was Gott oder zumindest die Entstehung der Alpen getrennt hat, tritt vieles zutage: nicht nur Abraum und Wasser, sondern vor allem menschliche Kühnheit, Tatkraft und der unerschütterliche Wille, der unbelebten Natur eine Funktion abzuringen.

Um dorthin zu kommen, wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen ist, muss man nicht ins Weltall fliegen. Es reichen im Wesentlichen eine ausreichend dimensionierte Bohrmaschine, einige Tonnen Sprengstoff und die raue Kunst einer Handvoll erfahrener Tunnelbauer, um Raum zu schaffen, wo über Jahrmillionen nur Fels war. Dieser neue Lebensraum ist nun 4402 Meter lang, hat einen Durchmesser von über zehn Metern und endet als Sackgasse mitten im Berg an der unterirdischen Grenze zwischen Österreich und Slowenien. Denn was als Durchschlagsfeier geplant war, wurde letztlich vor Kurzem als Vortriebsschlussfeier begangen: Vergabeprobleme auf slowenischer Seite haben zu einer deutlichen Bauverzögerung beim südlichen Tunnelteil geführt, weshalb der ersehnte Durchschlag erst im Herbst 2023 zu erwarten ist.

Eigene Welt unter Tage

Im Halbdunkel des Tunnels herrscht dennoch reges Treiben. Maschinen rangieren, Lastwagen transportieren, die Tunnelbauer mit ihren Helmen, Stirnlampen und reflektierenden Westen treiben das Werk voran. Mit unerschütterlicher Ruhe verstehen und versehen sie ihr Handwerk. Jedes Bauteil ist mächtig, jedes Werkzeug solide, jede Maschine erprobt im Ringen mit den Elementen. An den grauen Wänden hängen in regelmäßigen Abständen Leuchtstoffröhren, die in unterschiedlichen Farben den aussichtslosen Kampf gegen die Finsternis unter Tage führen. Blau bedeutet Wasser, grün weist auf einen Sicherheitsstollen hin, rote Enden signalisieren Notstrom, falls die Energieversorgung ausfallen sollte.

Wasserfester Innenausbau

Unauffällig an der Tunnelwand steht der Star der vergangenen Jahre, die Bohrmaschine. Sie hat seit dem 10. Oktober 2018 Tausende Sprenglöcher in die Ortsbrust – so nennen die Bergleute das Tunnelende, an dem gearbeitet wird – gehämmert, sie hat tausendfach sechs Meter tiefe Ankerlöcher für die Baustahlmatten in den Fels getrieben. Diese Metallgitter werden mit schnell härtendem Spritzbeton ausgefüllt und geben dem Tunnel seine hohe Stabilität. Zu der trägt natürlich auch die Innenschalung bei, die mittels hydraulischer, beweglicher Arbeitsbühnen betoniert wird. Für diese wurden eigens Gleisanlagen verlegt. Diese Arbeiten sind derzeit auf etwa 2,5 Kilometern Länge fertiggestellt und sollen um das Jahresende 2022 abgeschlossen sein. Dabei wird Wasser, das eventuell durch Gesteinsklüfte und Störungszonen eintritt, über großflächig verschweißte Planen gesammelt und über einen zentralen Sammelkanal abgeleitet; 150 Liter pro Sekunde wird die Schüttung auf österreichischer Seite nach Fertigstellung betragen, das entspricht etwa zwei Badewannen in der Zeit, in der man „21“ sagen kann.

Mensch gegen Berg

Im Tunnel ist es warm: Auf bis zu vierzig Grad erwärmen die vielen Maschinen die aufgrund der Bewetterung, also der mechanischen Luftversorgung durch meterdicke Schläuche, erstaunlich gute Luft. Die Arbeitsatmosphäre unter Tage ist gewöhnungsbedürftig: Millionen von Tonnen drücken auf einen schmalen Stollen, ein ganzes Gebirgsmassiv lastet auf dem Bauwerk. Licht und Schall werden von der Röhre verschluckt, deren Anfang und Ende sich im Dunst verlieren. „Wer das nicht mag, ist hier ganz schnell wieder weg“, weiß Bauleiter Martin Pirker. Der 38-jährige Oberkärntner ist seit zehn Jahren bei SWIETELSKY, er war auch schon im Brenner- und Semmeringtunnel im Einsatz. Wie alle Tunnelbauer zeichnet ihn – Gesteins-, Wasser- oder Termindruck hin oder her – eine unerschütterliche Gelassenheit aus; wer sich mit dem Berg anlegt, braucht ein standhaftes Wesen.

Methode und Tradition

Denn der Berg wird bei der „Austrian Tunneling Method“ zum Mittragen herangezogen und damit selbst zum Bauteil. Immerhin haben die Tunnelbauer in drei Jahren 1,5 Millionen Tonnen Gestein aus dem Berg herausgebrochen – und überwachen mit sensibelsten Messgeräten, wie der Berg darauf reagiert. Pirker nimmt das – wie sollte es anders sein – gelassen: „Üblicherweise gibt es Setzungen im Millimeterbereich.“ Nachfrage: „Und was war nicht üblicherweise?“ „Einmal waren es siebzehn Zentimeter, da haben wir uns das schon genauer angeschaut.“ Passiert ist natürlich nichts, wie auch die gesamte Bauzeit ohne Schwierigkeiten verlaufen ist. Pirker: „Man ist schon auch ein bissl stolz, wenn man bei solchen Projekten dabei ist. Schließlich hat der Tunnelbau in Österreich eine besondere Tradition.“

Sicherheit an erster Stelle

Die zweite Tunnelröhre, die im Abstand von fünfzig Metern parallel zur 1991 eröffneten ersten Röhre verläuft, erhöht nicht nur die Fahrzeugkapazität dramatisch und hilft damit, die vor allem im Sommerreiseverkehr auftretenden, stundenlangen Staus zu vermeiden. Auch die Sicherheit der Anlage steigt damit enorm: Schon mit dem Tunnelvortrieb wurden die Verbindungen zur Bestandsröhre, sogenannte Querschläge, errichtet, die als Fluchtwege bei einem Unfall in einem der beiden Tunnel eine wesentliche Sicherheitsfunktion haben. Drei Querschläge pro Tunnelkilometer wird es geben, elf davon konnten schon während der Bauarbeiten in Betrieb genommen werden.

Tor zum Süden

Aber auch bei anderen Sicherheitsfeatures wird der doppelröhrige Karawankentunnel nach Fertigstellung alle Stückeln spielen. Zusätzlich zu modernster Lüftung, Beleuchtung, Verkehrssensorik und Videoanlage wird der Tunnel mit einer Sicherheits-Premiumausstattung ausgerüstet, die etwa wegen eines Unfalls ein Umschalten auf temporären Gegenverkehr innerhalb weniger Minuten ermöglicht. Im Vorportalbereich werden Mittelstreifenüberfahrt-Leitsysteme (MÜLS) installiert: Das sind automatisch schwenkbare Betonleitwände, durch die der Verkehr umgeleitet werden kann. Jeder Tunnel muss daher für Gegenverkehr ausgestattet sein – von der Lüftung bis zu den Verkehrszeichen. Damit das „Tor zum Süden“ nicht mehr zur Staufalle für den Urlaubsreiseverkehr wird.

Sehen Sie auf BAU TV ein Interview mit Wolfgang Pacher, dem Geschäftsführer der Swietelsky Tunnelbau GmbH & Co KG. 

FACT BOX
  • Durch den Vollausbau wird die Kapazität des Karawankentunnels deutlich erhöht. Für die Lenker bedeutet das künftig: keine längeren Wartezeiten mehr bei der Ein- und Ausreise.
  • Zwei moderne Tunnelröhren garantieren auch die höchstmögliche Sicherheit für alle – die Sicherheitsausrüstung des Karawankentunnels wird auf dem technisch höchsten Niveau sein.
  • Die neue Tunnelröhre hat eine Länge von 7948 Metern, davon entfallen auf österreichisches Gebiet 4402 Meter.
  • Alle 330 Meter gibt es Fluchtwege, also Querverbindungen zwischen den Tunnelröhren.
  • Der Tunnelausbruch nur in Österreich beträgt 1,5 Millionen Tonnen.
  • Der Vortrieb erfolgte mittels Bagger und Sprengungen nach der Neuen Österreichischen Tunnelbauweise – auf österreichischer Seite ist er abgeschlossen, auf slowenischer Seite voraussichtlich im Herbst 2023.
  • Bis Ende 2025 laufen der Innenausbau und die Ausstattung mit Sicherheitstechnik.
  • Im Anschluss wird die dann bereits 34 Jahre alte Bestandsröhre saniert, die Gesamtverkehrsfreigabe ist für Ende 2027 / Anfang 2028 vorgesehen.
  • Die ASFINAG investiert in diesen Vollausbau inklusive aller Vorarbeiten in Summe 211 Millionen Euro. Der reine Tunnelneubau bedeutet für ASFINAG und DARS eine Gesamtinvestition von 320 Millionen Euro.
  • Das Projekt Karawankentunnel wurde von der Europäischen Union im Zuge des Programms Connecting Europe Facility (CEF) in der Planungsphase mit 3,35 Millionen Euro gefördert. Für die Bauphase gibt es einen unterzeichneten Förderungsvertrag mit einer maximalen Förderhöhe von 9,4 Millionen Euro.
  Peter  Schöndorfer

Redaktion

Peter Schöndorfer

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