Dramatik am Arbeitsplatz: Die Zahl der Arbeitslosen sinkt, viele Betriebe suchen händeringend Mitarbeiter. Der Fachkräftemangel wurde längst zum Arbeitskräftemangel. Und ausgerechnet ein Phänomen namens „The Great Resignation“ könnte zur Chance für die Bauwirtschaft werden.
Genauso steil, wie die Zahl der Arbeitslosen in Coronazeiten anstieg, fällt sie nun ins Bodenlose. Zu Redaktionsschluss geht AMS-Vorstand Johannes Kopf von sensationellen fünf Prozent Wirtschaftswachstum für das laufende Jahr aus. Das sei wie in den Siebzigern. 2022 würde zum Jahr der Arbeitnehmer. Abwerben, Konkurrenz zwischen den Branchen, Arbeitszeitverkürzung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kinderbetreuung, das sind die Schlagworte, die das Jahr prägen würden. Man spricht von einem Arbeitnehmermarkt, zumindest bei den Qualifizierten. Diese werden selbstbewusster und ihre Arbeitgeber neigen zu Zugeständnissen um „gute Leute“ zu gewinnen oder im Unternehmen zu halten – gerade in Bereichen, wo ohnehin ein Mangel an Fachkräften herrscht. Es geht dabei längst nicht mehr nur um das passende Gehalt, sondern etwa die Option einer Dreißigstundenwoche oder von Homeoffice-Tagen. Es scheint, als werde das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer neu gemischt. Unternehmen kommen damit immer mehr unter Handlungsdruck. Denn Mitarbeiter zu finden und langfristig zu halten, ist auch eng an die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit gekoppelt, wird Psychologin Tatjana Schnell, Professorin an der MF Specialized University in Norwegen, im KURIER zitiert. Die Sinnfrage werde aber oft missverstanden. „Es geht nicht darum, dass man mit der Arbeit die Welt retten will. Das ist eine Überfrachtung des Berufs“, so Schnell. Vielmehr gehe es darum, dass die Arbeitsbedingungen sinnvolles Arbeiten ermöglichen. Arbeit müsse einen positiven Nutzen für andere haben und in das eigene Leben passen.
Knappheit führt zu schlechteren Arbeitsbedingungen
Mitarbeiter zu halten wird oft wichtiger, als neue zu finden. Damit dies gelingt, müsse sich auch auf der Führungsebene viel ändern, meint Organisationsforscherin Antoinette Weibel, Professorin für Personalmanagement an der Universität St. Gallen. „Es geht auch um die Frage: Wie entwickeln wir Führungskräfte? Das Thema neue Mitarbeiterführung wird in Zukunft noch ein größerer Brocken werden.“ Und ein weiteres Problem kommt durch die Demografie auf Unternehmen zu: Das Wachstum des Arbeitskräfteangebots nimmt in Österreich ab. Der HR-Chef der A1 Austria formuliert es so: „Der Teich, in dem wir fischen, wird kleiner, aber Fischer gibt es immer mehr.“ Das ist nicht nur unmittelbar im Recruiting ein Problem, sondern auch indirekt. Denn die Knappheit an Arbeitskräften sorgt auch für schlechter werdende Arbeitsbedingungen und diese können langfristig dazu beitragen, dass sich die Wechselwilligkeit erhöht, wenn Arbeitnehmer dadurch bessere Arbeitsbedingungen erzielen können.
The Great Resignation
Apropos Wechselwilligkeit: Ursprünglich in den USA wurde bereits 2021 ein Phänomen beobachtet, das sich „The Great Resignation“ nennt. Man spricht von einem Trend, bei dem Arbeitnehmer massenhaft freiwillig ihre Arbeitsplätze kündigen. Die COVID-19-Pandemie hat Arbeitnehmer dazu veranlasst, ihre Karriere, Arbeitsbedingungen und langfristigen Ziele zu überdenken. Viele wünschten sich plötzlich mehr von zu Hause aus zu arbeiten. Mit der Telearbeit kam die Terminflexibilität. Und nicht zuletzt geht es auch um die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, insbesondere bei den Jüngeren. Gastgewerbe, Tourismus, Pflege, Dienstleistungen, also Branchen, die von persönlicher Interaktion betroffen sind und häufig auch von COVID am meisten in Mitleidenschaft gezogen wurden, hat das am härtesten getroffen. Im April 2021 kündigten rekordverdächtige vier Millionen Amerikaner freiwillig ihre Jobs, im Juni immer noch 3,9 Millionen. Laut einer Anfang August 2021 durchgeführten Umfrage von PricewaterhouseCoopers gaben 65 Prozent der Mitarbeiter an, einen neuen Job zu suchen, und 88 Prozent der Führungskräfte gaben an, dass ihr Unternehmen eine höhere Fluktuation als üblich verzeichnet. In Europa deuten Umfragen auf einen ähnlichen Trend hin, bloß hat man diesseits des Atlantiks wieder mal keine Daten, weil nicht erhoben wird, durch welche Seite eine Kündigung veranlasst wurde.
Chancen für die Bauindustrie
Nichtsdestotrotz bieten diese massiven Bewegungen am Arbeitsmarkt auch Chancen, nämlich für jene Unternehmen und Geschäftsmodelle, die sich in der Pandemie bewährt haben. SWIETELSKY wurde von Kündigungswellen verschont und hat ganz im Gegenteil Hunderte Fachkräfte hinzugewonnen. Das mag auch daran liegen, dass die Bauindustrie nicht von Schließungen beeinträchtigt war, die Bauleistung entsprechend dem langjährigen Trend ausgebaut werden konnte und man auch von einer breiten Öffentlichkeit als wirtschaftlich sicherer Hafen in turbulenten Zeiten wahrgenommen wurde. Auch bei den Lehrlingen bewege man sich im Recruiting in die richtige Richtung. „Die Berufsbilder am Bau werden im Vergleich zum Dienstleistungssektor plötzlich wieder attraktiver. Unsere über viele Jahre aufgebaute und zuletzt mehrfach ausgezeichnete Arbeitgebermarke hat sich in der Krise bezahlt gemacht“, meint Helmut Andexer, Leiter HR bei SWIETELSKY. Klar sei aber auch, dass man sich weiterentwickeln müsse: „Insbesondere in der Flexibilisierung der Arbeitszeit, in der Schaffung zeitgemäßer Modelle zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie zur Ausgestaltung einer nachhaltig funktionierenden Work-Life-Balance ist auch bei uns viel in Bewegung“, so Andexer. Großen Wert lege man auch auf die Schulung der Führungskräfte, um ein für alle Arbeitnehmer motivierendes und langfristig erfolgversprechendes Arbeitsumfeld sicherzustellen.