Johann Keil ist nach 40-jähriger Karriere eine Institution im österreichischen Untertagebau. Als Geschäftsführer der Tunnelbau-Sparte von SWIETELSKY ging er kürzlich in den Ruhestand. Mit Ruhe hat dieser Zustand allerdings wenig zu tun.
Johann Keil ist ein Maulwurf mit besonderen Fähigkeiten. Er grub sich sein Leben lang unentwegt durch die Berge. Dabei hinterließ er allerdings keine schwarzen Löcher, sondern bedeutende Infrastrukturprojekte, die Generationen überdauern. Die besondere Schwierigkeit dabei ist, richtig mit dem spontanen Verhalten des Berges umzugehen, das häufig einen Strich durch die besten geologischen Prognosen macht. Wir wollten dem Erfolgsrezept auf den Grund gehen und haben den Doyen des österreichischen Tunnelbaus bei ihm zuhause im Salzburger Leogang besucht. Was für ein beeindruckendes Panorama! Man versteht sofort, dass sich Keil, der dort aufgewachsen ist, in diese Landschaft verliebt hat. Das Paradies hat sich herumgesprochen und so schießen die Luxusvillen deutscher Industrieller, russischer und sonstiger Betuchter in der Nachbarschaft wie die sprichwörtlichen Schwammerl aus dem Boden. Johann Keil baute sein Haus bereits vor Jahrzehnten, als der Quadratmeter noch einen Bruchteil der heutigen Preise und das aber in Schilling kostete, und zwar mit der gleichen Liebe zum Detail, die sein gesamtes Berufsleben prägte. Quadratische Formen, viel Glas und moderne gerade Linien sind nicht das seine. Er baute ein Haus, das sich perfekt in die Traditionen der Region einfügt, mit Ecken, Kanten und viel natürlichem Holz, so wie eben auch er selbst „geschnitzt“ ist. Zurecht ist er besonders stolz auf seine eigene Kapelle der heiligen Barbara (Schutzheilige der Bergarbeiter und Mineure), die genauso zum Grundstück gehört wie eine Almhütte mit eigener Schnapsbrennerei, klarerweise unterkellert mit einem Lager für verschiedene allesamt selbstgemachte edle Sorten. Stilgerecht für einen Bergmann liegt in diesem Lager auch eine Sammlung historischer Grubenlampen. Auch das Brot wird im Hause Keil gelegentlich selbst gebacken, und zwar in einem mit Natursteinen gemauerten Backofen unter freiem Himmel. Ebenso mit Holzfeuer räuchert Johann Keil den Speck in einer von ihm angefertigten Selche und bietet ihn seinen Gästen an. Erstaunlich ist auch der Weinkeller. Dort sammelt er nicht nur die besten Jahrgänge, sondern auch alte, aber immer noch einwandfrei funktionierende Grammophone. Und dann wäre da noch die Werkstatt, größer als die meisten Wohnzimmer, mit einer Schmiedeesse und so ziemlich jedem Werkzeug ausgestattet, das der Markt jemals hervorgebracht hat. Alles feinsäuberlich in Schuss gehalten und präzise an der Wand befestigt. Alles folgt einem genau durchdachten Plan. Man erkennt sofort: Dieser Mann überlässt selbst in seiner Freizeit nichts dem Zufall.
SWIETELSKY verdankt ihm viel. Durch eine Fügung des Schicksals, nämlich den sich abzeichnenden Niedergang des einst mächtigen Konzerns Alpine, verschlug es Johann Keil zu dem Linzer Bauunternehmen, das erst unter seiner Führung zu einem der gefragtesten Spezialisten in der Sparte Tunnelbau heranwuchs. Unter Bauherren, Kollegen und Mitarbeitern ist Keil beliebt, fallweise auch etwas gefürchtet, in jedem Fall aber hoch anerkannt. Er nimmt sich auch in unserem Interview (nächste Seite) kein Blatt vor den Mund und ist als Mensch so geradlinig, wie das heute manchmal etwas aus der Mode gekommen scheint. Aber wo Bauwerke für Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte geschaffen werden, spielt der Zeitgeist keine große Rolle.
„Man muss sich neue und vor allem eigene Lösungswege auch zutrauen“
Montanist Johann Keil über sein aufregendes Leben unter Tage, seine Erfolgsrezepte und die Aussichten der Branche.
Herr Keil, mir scheint Sie haben seit Ihrer Verabschiedung als Geschäftsführer der Tunnelbausparte einige Kilos abgenommen? Machen Sie plötzlich Sport?
Nein, ich glaube das täuscht. Abgenommen habe ich vielleicht nur an Gefährlichkeit.
Wirklich? Ich wusste nicht, dass Sie gefährlich waren!
Im Alter wird man vermutlich etwas milder. Möglicherweise wurde eine gewisse Hartnäckigkeit im Durchsetzen alternativer Ausführungen und Optimierungen so empfunden.
Umso interessanter ist die Frage, wie es dazu kam. Wo begann Ihr Lebenswerk?
Ich bin hier im Salzburger Leogang, ein altes Bergbaudorf, geboren und aufgewachsen. Mein Vater war Schmiedemeister, und so wurde mir der Bezug zu den Bergen einerseits und sicher auch ein gewisses technisches Interesse andererseits, bereits in die Wiege gelegt. Ich war schon als kleiner Bub in den Stollen unterwegs. Maturiert hatte ich an einem neusprachlichen Gymnasium, bevor ich dann in Leoben Montanistik studierte. Sprachkenntnisse konnte ich während meiner Berufsjahre im Ausland gut brauchen und auch erweitern. Ich war bereits während des Studiums in der deutschen Steinkohle auf verschiedenen Schachtanlagen und im Blei/Zinkbergbau tätig, sowie in Schweden, um gutes Geld zu verdienen. Wir haben dort in Stahl- und Aluminiumwerken sowie in der Sägeindustrie gearbeitet und Hochtemperaturöfen gebaut. Später ging ich als Bauleiter mit 27 Jahren nach Burundi in Afrika für ein Kraftwerksprojekt. Das war 1983.
Schweden und Burundi hatten aber bereits damals nicht viel gemeinsam.
Doch, jeweils eine spektakuläre Natur. Im Fall Schwedens innerhalb der Zivilisation, im Fall Burundis außerhalb davon.
Nach Afrika ging es wieder zurück nach Österreich. Gibt’s irgendeine Art von Projekt im Stollen- und Tunnelbau, die Sie hier ausgelassen haben?
Nein, eigentlich nicht. Da waren Kraftwerke, Umfahrungstunnel, zahlreiche Straßentunnel beispielsweise entlang der A9-Pyhrnautobahn, Erkundungsstollen und vieles mehr. Ganz zu Beginn für die STRABAG, später für die ALPINE als Bauleiter und ab 1994 in der Funktion des Technischen Geschäftsführers bei den Projekten der ALPINE.
Im Jahr 2009 sind Sie bei SWIETELSKY gelandet. Wie kam es dazu?
Wir wissen heute, wie die Sache mit der ALPINE geendet hat, nämlich im Konkurs. Wenn man bei wagemutigen Auslandsprojekten schon viel Geld verliert, sollte man die gemachten Fehler eben nicht einfach wiederholen, bis der gesamte Konzern am Ende ist. Das war im Auslandsbereich der ALPINE aber leider zum Teil der Fall. Nun geschieht aber so eine Entwicklung nicht von heute auf morgen, sondern zeichnet sich über Jahre im Vorhinein ab. Insofern hatte ich ein Interesse, zu SWIETELSKY zu wechseln, schon einige Zeit bevor bei der ALPINE alles den Bach hinunterging.
Bei SWIETELSKY haben Sie sich aber nicht gerade ins gemachte Nest gesetzt.
Nein, überhaupt nicht. Den Tunnelbau gab es damals zwar als eigene Sparte bei SWIETELSKY, jedoch nicht besonders erfolgreich und mit geringem Umsatzvolumen. Wir haben in zwei Kammerln (Anm.: ganz kleine Büros) der Salzburger Filiale angefangen. Zuerst bin ich mit den zwei Kalkulanten der ALPINE gekommen, und als die ersten Aufträge eingeholt waren, haben wir schrittweise operatives Personal von der ALPINE zu SWIETELSKY herübergeholt. Als Bürostandort wurde dann ein Haus angemietet, in dem wir noch heute situiert sind. Heute haben wir eine jährliche Bauleistung von etwa 200 Millionen Euro und rund 650 Mitarbeiter.
Über Ihre gesamte Periode als Geschäftsführer haben Sie die Tunnelbau-Sparte wirtschaftlich erfolgreich geführt, was in Anbetracht der branchenweit geringen Margen sowie der hohen Projektrisiken nicht selbstverständlich ist. Was haben Sie anders gemacht als Ihre Mitbewerber?
Es fängt bei einer vernünftigen Angebotsbearbeitung an, ich nenne das „vertiefte Ausschreibungsprüfung“. Man muss ein Projekt vollständig durchdenken, die darin verborgenen Chancen nützen und Risiken bestmöglich absichern. Dabei soll man sich neue und vor allem eigene Lösungswege auch durchaus zutrauen.
Lässt sich das etwas konkreter vielleicht anhand eines Beispiels darstellen?
Denken Sie an die hochkomplexen Schachtförderkonstruktionen unseres Bauloses am Semmering. Ursprünglich war seitens der ARGE vorgesehen, diese Leistungen (Teufen der Schächte und Förderanlagen) an einen spezialisierten Nachunternehmer zu vergeben. Wir haben aber rasch erkannt, dass wir für diese Leistung eine eigene Lösung hinbekommen und diese aus technischer und kaufmännischer Sicht effizienter ist. Dann mussten wir uns diese Herausforderung erstens selbst zutrauen und zweitens den ARGE-Partner, den Bauherren und zahlreiche Gutachter überzeugen. Das waren Expertengespräche auf hohem Niveau, die natürlich auch kontroversiell verlaufen und wo es Widerstände geben kann. Wenn man sich mit guten Argumenten, bergmännischem Know-how und den besten Mitarbeitern durchsetzt, so wie uns das hier gelungen ist, kann man ein großes Potenzial heben.
Das klingt nach einer Win/Win-Situation für alle Beteiligten. Aber eingangs meinten Sie – wenngleich scherzhaft –, dass der ein oder andere Bauherr Sie für gefährlich halten könnte. Wie ist das zu verstehen?
Es war sicher scherzhaft gemeint, aber wir hinterfragen bei der Ausführung doch des Öfteren kritisch die der Ausschreibung zugrundeliegenden Planungen hinsichtlich Machbarkeit und Optimierungspotential. Es werden dabei auch klar etwaige Risiken auf den Tisch gelegt. Dieses kritische Hinterfragen wird gelegentlich als lästig oder „gefährlich“ empfunden, aber natürlich braucht niemand Angst vor uns haben. Die Beteiligten im österreichischen Tunnelbau, damit meine ich Bauherren, Dienstleister, Gutachter und viele mehr kennen sich sehr gut. Unsere Partner wissen, dass sie uns seit Jahrzehnten vertrauen können und schätzen auch unsere Herangehensweise an Projekte.
Tatsächlich baut SWIETELSKY Tunnelprojekte vorwiegend in Österreich und gelegentlich in Deutschland. Für Abenteuer im fernen Ausland waren Sie bei SWIETELSKY nicht zu haben?
Es spricht nichts Grundsätzliches gegen ein Projekt im ferneren Ausland. Es gibt aber ein paar Dinge, die zu beachten sind. Man muss die Rechtssituation und die Gepflogenheiten im Land gut kennen. Und man braucht gute, eigene Mitarbeiter, die über entsprechende Sprachkenntnisse sowie Landeskenntnisse verfügen. Mit ein paar am Weltmarkt zusammengekauften Freelancern kann das niemals funktionieren. Sie besitzen nämlich oft geringe Loyalität gegenüber dem Unternehmen und vielfach wenig Fachkompetenz. Je weiter aber eine Baustelle weg ist und je weniger sie von zuhause aus kontrollierbar ist, desto größer muss die Loyalität der Mitarbeiter vor Ort sein. Zudem muss man sich genau ansehen, inwieweit Rechtssicherheit herstellbar ist. Ohne Rechtssicherheit sind große Bauvorhaben der helle Wahnsinn. Da uns im Inland und nahen Ausland genügend Projekte zum Abarbeiten zur Verfügung standen und stehen, ergab sich keine Notwendigkeit in die Ferne zu gehen.
Werden irgendwann einmal alle Tunnel gebaut sein? Hat der Tunnelbau ein Ablaufdatum?
Nein, dieses Ablaufdatum gibt es aus meiner Sicht nicht. Sicher werden in den nächsten Jahren Reparaturen, Sanierungen und sicherheitstechnische Nachrüstungen eine größere Rolle spielen. Ich denke auch, dass beispielsweise in der Herstellung von Pumpspeicherkraftwerken als derzeit noch bester Energiespeicher einiges Potenzial für erneuerbare Energie liegt. Wir realisieren gerade die Kraftwerke Kühtai und Tauernmoos, zwei Projekte mit enormen Dimensionen. Eventuell wird man noch die ein oder andere zweite Tunnelröhre bauen und sicher auch einige Ortsumfahrungen. Im städtischen öffentlichen Verkehr werden wir weiterhin beim U-Bahnbau eine Rolle spielen. Es wird uns die Arbeit also nicht ausgehen. Unser Auftragsstand beläuft sich aktuell auf rund 400 Millionen Euro, ich mache mir keine Sorgen um uns.
Sie sind nach wie vor leidenschaftlich im Thema. Freuen Sie sich gar nicht auf den Ruhestand?
Ich habe meine Arbeit nie als große Belastung empfunden und immer gerne Verantwortung übernommen. Stunden habe ich nie gezählt und gottseidank war ich bisher gesundheitlich immer einsatzfähig. Ich bin nun auch weiterhin in beratender Funktion für SWIETELSKY tätig und bei dem ein oder anderen großen Projekt involviert. Die Leidenschaft für den Beruf im Untertagebau hatte ich immer schon und werde ich nicht verlieren, beispielsweise engagierte ich mich ehrenamtlich 14 Jahre lang als Betriebsleiter für das Schaubergwerk Leogang.
Sind Sie zufrieden mit Ihrem Nachwuchs an Montanisten?
Ja, absolut zufrieden. Unsere jungen Kollegen sind allesamt engagiert und gut ausgebildet. Trotzdem sehe ich einen Unterschied. Wir haben es nun mit einer Erbengeneration zu tun, die nicht mehr bereit ist, dem Beruf alles andere unterzuordnen. Wenn ich als junger Mann auf einer entfernten Baustelle eingesetzt war, dann war ich dort 24 Stunden bereit, Verantwortung zu übernehmen. Ich war ohnehin dort und nicht zuhause, also habe ich mich auch vollkommen in den Dienst der Firma gestellt. Heute wollen junge Menschen Ausgleich, betreiben Sport und Hobbies, wollen mehr Zeit für die Freundin oder die Familie. Zeit ist für sie auch in jungen Jahren oft wichtiger als Geld. Ich möchte das nicht als Kritik verstanden wissen, sondern halte es für eine Erscheinung der Zeit.
Und was möchten Sie dieser Erbengeneration mit auf den Weg geben?
Dass heute genauso wie früher eine solide Ausbildung wichtig ist. Darüber hinaus ist es bei jedem Projekt wichtig, die Produktion in vollem Umfang zu verstehen. Dafür ist Berufspraxis entscheidend, denn jeder Tunnel ist ein Unikat. Junge Mitarbeiter sollen im Zuge ihrer Ausbildung auch lernen, wie es ist, körperlich schwer zu arbeiten, zu „barabern“, wie es früher immer hieß. Dabei lernen sie unsere Mineure und Arbeiter zu respektieren um dann auch mit ihnen richtig und wertschätzend zusammenzuarbeiten, was in jeder Hinsicht besonders wichtig ist.