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Die Post-Corona-Megatrends fürs Wohnen

22.06.2021, Lesezeit 4 Minuten
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Zukunftsforscherin Oona Horx-Strathern setzt sich in ihrer neuen Publikation mit der Frage auseinander, welchen Einfluss die Coronazeit auf Wohnbedürfnisse ausübt und was Architekten, Planer und Bauwirtschaft daraus lernen können.

Oona Horx-Strathern ist seit über 25 Jahren Trend- und Zukunftsforscherin, als Autorin und Beraterin tätig sowie auf internationalen Bühnen eine gefragte Wohnexpertin. Sie versteht sich selbst als eine Erforscherin des Neuen, aber vor allem des Besseren. Während der Coronakrise teilte sie den kompletten Wohn- und Arbeitsraum mit einem Drei-Generationen-Haushalt. Dieses Setting gab ihr ab und an das Gefühl, Teil eines darwinistischen Experiments zu sein, steht in ihrem jüngst erschienenen „HOMEREPORT 2021“ zu lesen. In ihrer Publikation blickt sie vom Krisenjahr in die Zukunft des Wohnens und zeigt auf, wie dieser kollektive Schock unser aller Verständnis von einem guten Zuhause verändert hat – und warum unsere Städte langfristig resilienter, also widerstandsfähiger gestaltet werden müssen. Zweifellos geht das einher mit vielfältigen Auswirkungen auf das Bau- und Baunebengewerbe. Im internationalen Expertenjargon hat sich in dem Zusammenhang bereits ein buchfüllendes Reservoir an Trendbegriffen herausgebildet.

Hoffice

Professor Jan Teunen, Experte für „Wirksame Räume“, erklärt in seinem Buch „Officina Humana“: „Das erste Büro war ein Homeoffice – die Erfindung eines Mönches, dessen Zuhause ein Kloster war. Bis zur Renaissance war es üblich, zu Hause zu arbeiten. Jetzt kehren wir zurück zu den Anfängen.“ Viele von uns machten in der Coronazeit erstmals Bekanntschaft mit einem Homeoffice, nicht alle fanden die Erfahrung beglückend. Nachteile liegen aktuell noch in einer teils unzureichenden Ausstattung. Oft sind die räumlichen Gegebenheiten zu Hause nicht so gestaltet, dass sie eine flexible Work-Life-Family-Balance ermöglichen. Nichtsdestotrotz: Das Hoffice ist gekommen, um zu bleiben – und bleibt dabei ein Work-in-Progress-Projekt. Gestaltungslösungen hinsichtlich Grundriss und Einrichtung sind gefragt. Das erfordert auch die Schaffung von Rückzugsbereichen, um allein nachzudenken oder kreativ zu sein. So etwas könnten beispielsweise kleine Häuschen im Garten sein, günstig zu bauen und auszustatten, um psychologische und physische Distanz zum Wohnbereich zu schaffen. Arbeitgeber werden unter Umständen weniger in die Office-Infrastruktur investieren und ihre Arbeitnehmer bei Investitionen ins Hoffice dadurch besser unterstützen können. Es sollte zudem nicht vergessen werden, dass ein Hoffice auch ergonomisch mit seinem Äquivalent im Büro mithalten können muss. Provisorien wie ein Küchentisch oder das Sofa sind dafür nicht geeignet. Um gegen Pandemien sowie gesundheitliche und wirtschaftliche Schocks widerstandsfähiger zu werden, wird es Kreativität und Improvisationstalent brauchen. Wenn Menschen zunehmend zu Hause arbeiten, verändert das aber nicht nur ihr Zuhause, sondern auch die herkömmlichen Büroarbeitsplätze, wo Interaktion und persönlicher Austausch der gefühlten gesellschaftlichen Isolation zu Hause entgegenwirken müssen.

Romancing the Balcony

„Mit Garten, Balkon oder Terrasse war die Coronakrise deutlich leichter zu ertragen – private Outdoorflächen wurden zum Mittelpunkt des Lebens. Diese Neubelebung verschiebt den Fokus beim Wohnungsbau. Denn jeder Mensch braucht privaten Raum unter freiem Himmel“, meint Oona Horx-Strathern. Sie geht in ihrer Trendprognose sogar so weit, dass sich künftig Stadtplaner mit einem Rechtsanspruch auf einen Balkon oder auf andere Freiflächen wie eine gemeinsame Terrasse auseinandersetzen müssen, und ist überzeugt: „Die Nachrüstung von Balkonen und die verstärkte Nutzung privater Grünflächen im Freien sind Trends, welche die Pandemie überdauern werden.“ Nachholbedarf besteht: In deutschen Großstädten besitzen lediglich 35 Prozent der Bewohner einen eigenen Garten. Auch im sozialen Wohnbereich könnten daher Lösungsansätze für den nachträglichen Anbau von Balkonen nachgefragt werden. Dabei geht es auch darum, die Kommunikation und den Austausch zwischen den Nachbarn sowie die Gemeinschaft in einem Wohngebäude zu stärken. Die US-amerikanische Architektin Jeanne Gang erbaute das Wohnhochhaus Aqua Tower in Chicago mit versetzt ausgerichteten Balkonen, damit die Menschen dazu ermutigt werden, mehr mit ihren Nachbarn zu kommunizieren.

Modulares Bauen

Bereits vor der Krise war die modulare Bauweise im Aufschwung begriffen. Sie gilt als schnell, kostengünstig und umweltfreundlich. Doch Kritiker bemängeln eine fehlende Langlebigkeit und Qualität der Gebäude. Nun, da Menschen für ihre Gesundheit Abstand halten sollen, braucht es größere Flächen und neue Räume. Hierbei könnte die Baubranche von der Flexibilität und Schnelligkeit der modularen Bauweise profitieren. Innerhalb weniger Tage können Klassenräume erweitert oder neue Patientenzimmer eingerichtet werden. Die kurzfristige Erweiterung von Gebäuden gewinnt an Bedeutung. Auch wenn die modulare Bauweise als multiplexe Lösung für zahlreiche Probleme gilt, so hat sie dennoch einige Nachteile. Darunter ein erhöhter Planungsaufwand, die Notwendigkeit präziser Vorfertigung, die Tatsache, dass Kosteneinsparungen oft nur über Massenproduktion erzielt werden, gestalterische und technische Einschränkungen, Transportschwierigkeiten bei großformatigen Modulen, kein festes Mauerwerk und daher auch kein wirksamer Schall- und Wärmeschutz.

Building Equality

„Frauen sind die Gespenster der modernen Architektur, überall präsent, an Entscheidungen zwar beteiligt, aber seltsamerweise dennoch unsichtbar“, schreibt die Architekturtheoretikerin Beatriz Colomina. 78 Prozent aller registrierten Architekten in Österreich sind Männer, obwohl mehr als die Hälfte aller Architekturabsolventen Frauen sind. Das hat Folgen für die Planung von Mobilität, Städten und Wohnräumen, die oftmals, wie Oona Horx-Strathern beschreibt, an den Bedürfnissen von Frauen vorbeigeplant werden. Die Zonierung, also die Einteilung in Wohn- und Industriegebiete, in Einkaufsviertel und Freizeitbereiche, sei an den Bedürfnismustern von Männern orientiert, die sich in der Arbeitswelt der Fabriken und Büros bewegen und für die es im Kontrast dazu das private Zuhause als Ort der Erholung und Geborgenheit gibt. Jedoch spiegle dies nicht mehr die gegenwärtige Lebensweise vieler Frauen wider. Sie seien viel mehr in unbezahlter Pflegearbeit tätig, hätten andere Bewegungsmuster in der Stadt, weil sie auf dem Weg zum Job ihre Kinder in der Kita abliefern oder nach den älteren Verwandten schauen. Was es daher für eine größere Gendergerechtigkeit bzw. -neutralität brauche, seien auch mehr Frauen in der Branche.

Die resiliente Stadt

Unvorhersehbare Ereignisse und plötzliche Schocks wie Gesundheitskrisen, Wetterereignisse wie Hitze oder Kälte, verbunden mit dem Ausfall von Versorgungseinrichtungen, machen Städte zunehmend verwundbar. Die resiliente Stadt ist dagegen widerstandsfähiger. Konkret bedeutet dies, dass eine Stadt vielfältiger, diverser, flexibler und anpassungsfähiger werden soll und sich die Stadtplanung daran orientieren muss. Ein redundantes Verkehrsnetz verfügt beispielsweise über Straßen, Bus, U-Bahn und Radwege. Fällt eines dieser Elemente aus, ist die Fortbewegung durch andere sichergestellt. Eine hohe Diversität an Branchen sichert das Überleben in möglichen Krisen. Wie nachteilig es sein kann, wenn einem Lebensraum ganze Kompetenzen und Branchen wie beispielsweise die Textilindustrie abhandenkommen, haben wir in der Coronakrise gesehen, als plötzlich Masken dringend benötigt wurden, an denen es in ganz Europa mangelte. Gleiches gilt für die Pharmaindustrie. Oona Horx-Strathern meint, die Rückbesinnung auf eine hyperlokale Verbundenheit, auf multifunktionale statt monothematische Stadtviertel sorge für mehr Lebensqualität.

 Mag. Sonja Sesser

Redaktion

Mag. Sonja Sesser

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