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Der erste Straßentunnel im Burgenland

19.10.2020, Lesezeit 6 Minuten
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Das topografisch flache Burgenland ist für vieles bekannt, aber nicht für Untertagebau. Nun bekommt es seinen ersten Straßentunnel als Teil der Fürstenfelder Schnellstraße.

Von den neun Bundesländern Österreichs ist das Burgenland das östlichste und gemessen an seiner Einwohnerzahl das kleinste. Das Gebiet gehörte einst zum Königreich Ungarn, das im Vertrag von Trianon 1920 verpflichtet wurde, das damalige Deutsch-Westungarn an die neue Republik Österreich abzutreten. Höchste Erhebung des Burgenlandes ist der 884 Meter hohe Geschriebenstein. Landschaftlich geprägt ist es vom Neusiedler See im Norden und den Ausläufern der Alpen im hügeligen Süden. Wirtschaftlich holt das ursprünglich im Bundesländervergleich rückständige Gebiet seit vielen Jahren kontinuierlich auf. Dennoch leben nach Auswanderungswellen vergangener Zeiten auch heute noch mehr Burgenländer im US-amerikanischen Chicago als in der Landeshauptstadt Eisenstadt und viele Burgenländer pendeln täglich nach Wien zur Arbeit. Umgekehrt schätzen aber immer mehr Wiener die landschaftlichen Vorzüge des idyllischen Burgenlands und lassen sich mit Haupt- oder Zweitwohnsitz dort nieder.

Geschätzt ist die Region zweifellos auch von Weinliebhabern. International erfolgreiche Winzer bewirtschaften nicht nur die ertragreichen Weinberge, sondern unterstützen das Land auch mit erheblichen Investitionen in den Tourismus. So entsteht in Andau das spektakuläre 4****Superior Wein-Wellness-Hotel „The Resort“. Eigentümer ist die Unternehmerfamilie Scheiblhofer, gebaut wird es von SWIETELSKY. Wofür das Burgenland aus rein topografischen Gründen definitiv nicht berühmt ist, sind Tunnelsysteme. So erklärt sich auch der erstaunliche Umstand, dass es im gesamten Gebiet des Bundeslandes noch keinen einzigen Straßentunnel gibt. Der erste befindet sich aktuell in Bau: Die Arbeitsgemeinschaft der Bauunternehmen SWIETELSKY und Granit arbeitet am Baulos 08 Tunnel Rudersdorf, ein Abschnitt der künftigen Fürstenfelder Schnellstraße S 7.

Die S 7 wird die Gemeinden in der Oststeiermark und im Burgenland (unter anderen Großwilfersdorf, Fürstenfeld oder Rudersdorf) vom Durchzugsverkehr entlasten und für bestehende sowie neue Betriebe eine schnelle, leistungsstarke und sichere Anbindung an das übergeordnete Straßennetz darstellen. Sie ist insgesamt rund 28 Kilometer lang. Vom Knoten Riegersdorf (A 2) über Fürstenfeld in der Steiermark bis zur burgenländischen Staatsgrenze bei Heiligenkreuz werden dafür von der ASFINAG rund 700 Millionen Euro in die Verbindung investiert. Verkehrsprognosen bestätigen die Bedeutung dieser Schnellstraße für die Region: Ohne S 7 würden zum Beispiel durch Großwilfersdorf im Jahr 2025 bis zu 25 000 Pkw und Lkw pro Tag fahren. Mit Errichtung der neuen Schnellstraße wird sich der Großteil des Verkehrs auf die S 7 verlagern. Lediglich rund 6000 Fahrzeuge werden dann noch durch das Ortsgebiet fahren. Für die Anrainer bringt das eine wesentliche Verbesserung ihrer Lebensqualität.

Der Tunnelabschnitt der S 7 befindet sich auf burgenländischem Gebiet. Er ist rund drei Kilometer lang und besteht aus einer rund einen Kilometer langen Offenen Bauweise, einem rund 1,8 Kilometer langen bergmännischen Tunnelabschnitt und einer rund 0,3 Kilometer langen Grundwasserwanne. Die Tunnelröhren und die Wanne Ost liegen über Teilstrecken im Grundwasser. Zur Gewährleistung stabiler Verhältnisse beim Vortrieb und zur Sicherung eines temporär abgesenkten Grundwasserspiegels in der Wanne Ost werden insgesamt 103 Stück bis zu 48 Meter tiefe Vertikalfilterbrunnen abgeteuft. Rund 400 000 Kubikmeter Material müssen aus dem Tunnel herausbefördert werden. Gleichzeitig müssen 250 000 Kubikmeter Beton und 20 000 Tonnen Stahl verbaut werden. Vorgesehen sind auch elf Fluchtwege und modernste Sicherheitstechnik. Bis 2023 soll der S 7-Tunnel bei Rudersdorf fertig sein. Die Kosten dafür belaufen sich auf rund 160 Millionen Euro. Begonnen haben die Baumaßnahmen für den zweiröhrigen Tunnel im Jänner 2019. Nach rund zwanzig Monaten liegt die Arbeitsgemeinschaft von SWIETELSKY und Granit weiterhin voll im Plan.

 

INTERVIEW:

GF Dipl.-Ing. Johann Keil, Swietelsky Tunnelbau GmbH

Der Tunnelbau ist die jüngste der fünf Sparten von SWIETELSKY, die allerdings in den letzten zehn Jahren stark gewachsen ist. Wie kam es dazu?

Als Pionier im Straßenbau und im Bahnbau hat SWIETELSKY früh die Potenziale im Stollen- und Tunnelbau erkannt. Über die Mitwirkung an bedeutenden Infrastrukturprojekten konnte man sich schließlich auch in dieser Sparte profilieren. Was uns dabei auszeichnet, ist die Erfahrung mit geologischen Besonderheiten, die Kompetenz in der Anwendung hochtechnologischer Maschinen und Verfahren, aber auch das bautechnische Know-how. So manchen Auftrag haben wir durch innovative Ingenieursleistungen, wie beispielsweise effiziente Schachtförderanlagen und Abteufsysteme, erhalten.

Können Sie uns ein Beispiel solch innovativer Ingenieursleistungen im Tunnelbau nennen?

Der Semmering-Basistunnel (SBT) ist eines der wichtigsten Infrastrukturgroßprojekte im Herzen Europas. Wir erhielten 2013 in einer Arbeitsgemeinschaft (ARGE) gemeinsam mit Implenia den Zuschlag für das rund dreizehn Kilometer lange Mittelstück SBT 2.1 Tunnel Fröschnitzgraben. Unter allen großen Tunnelbauprojekten, bei denen SWIETELSKY engagiert ist – von Stuttgart 21 über den Albaufstieg der Bahnstrecke Wendlingen—Ulm, Neubau zweite Röhre Karawankentunnel, Tunnel S 7 bis hin zum Tunnel Wolf I und II beim Brennerbasistunnel – ist der „Fröschnitzgraben“ zweifellos ein herausragendes. Die Besonderheiten liegen unter anderem in der komplexen Logistik, nach der das gesamte Tunnelsystem über zwei ca. 400 Meter tiefe Vertikalschächte aufgeschlossen und angedient wird. Die Herstellung der Schächte sowie Lieferung, Installation und Betrieb der Schachtanlagen erfolgte durch SWIETELSKY. So werden über die Schächte mehr als fünf Millionen Tonnen Ausbruchsmaterial nach oben gefördert und die gesamte Versorgung mit Geräten und Baustoffen durchgeführt. Die Anlagen sind derart ausgelegt, dass auch die schwersten Teile der Tunnelbohrmaschine mit einem Maximalgewicht von 109 Tonnen im Förderkorb an- und abtransportiert werden können. Beachtlich ist auch die installierte Leistung an den Schachtförderanlagen. Mit 10 100 KW entspricht sie dem Leistungsbedarf von rund 1000 Einfamilienhäusern.

Worum handelt es sich bei der angesprochenen überdimensionalen Tunnelbohrmaschine?

Um zwei 120 Meter lange und 2500 Tonnen schwere Maschinen – je eine pro Tunnelröhre –, die sich seit Jahresmitte 2018 beim Semmering-Basistunnel vom Fröschnitzgraben (Steiermark) rund neun Kilometer in Richtung Gloggnitz durch den Berg arbeiten. Sie wurden in großen Teilen über die Schächte in den Tunnel gebracht und 400 Meter unter der Erde zusammengebaut. Schließlich werden noch circa 50 000 Stück so genannte Tübbinge durch die Versorgungsschächte gebracht. Das sind jeweils sieben Tonnen schwere Betonfertigteile, die SWIETELSKY in Niederösterreich produziert. Je sechs Tübbingsteine ergeben einen Tübbingring und somit zwei Meter Eisenbahntunnel. Diese Betonfertigteile werden von der Tunnelbohrmaschine direkt nach dem Ausbrechen des Gebirges zur Stützung des Hohlraumes eingebaut.

Kann man derartige Tunnelbohrmaschinen überall einsetzen und damit den Vortrieb beschleunigen sowie effizienter gestalten?

Vorwiegend entscheiden die Länge des aufzufahrenden Tunnels und die geologische Situation über den Einsatz einer Tunnelbohrmaschine. Beim Semmering-Basistunnel ist das in rund einem Drittel des Tunnels der Fall. Beim burgenländischen Tunnel Rudersdorf wäre die gleiche Hartgesteins-Tunnelbohrmaschine einerseits technisch und andererseits aufgrund der Tunnellänge auch wirtschaftlich nicht einsetzbar. Der Baugrund ist dort kein festes Gestein, sondern Lockermaterial. Mittels Bagger werden Ton, Schluff und Sand in Teilflächen ausgebrochen und der Hohlraum mit Spritzbeton, Bögen, Baustahlgitter und Ankern gesichert. Pro Tag beträgt der Vortrieb daher wenige Meter.

Der Tunnel Rudersdorf wird teilweise in Offener Bauweise hergestellt. Wie funktioniert das technisch?

Die Offene Bauweise wird über ihre gesamte Länge in bewehrtem Stahlbeton ausgeführt, wobei die Gewölbeschale auf einer Stahlbetonplatte gegründet wird. Dazu wird vorab der Bodenaushub durchgeführt und abschnittsweise werden Böschungssicherungen mit Spritzbeton und Ankern hergestellt. Anschließend wird das Tunnelprofil als einschaliges Bauwerk eingebaut. Zur Gewährleistung der Dichtheit der Bauwerke wird hierbei auf zwei Systeme zurückgegriffen. Rund zwei Drittel der Tunnellänge der Offenen Bauweise werden mit verschweißten Kunststoffabdichtungsbahnen und der restliche Abschnitt als dichtes Weiße-Wanne-Bauwerk ausgeführt. Danach werden die Tunnelröhren wieder mit Aushubmaterial überdeckt.

 Mag. Clemens Kukacka

Redaktion

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  Michael  Pölzl

Reportage

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