Der Semmering-Basistunnel ist ein Projekt der Superlative für Mobilität und Klimaschutz. Ebenso gigantisch sind die technischen Herausforderungen, die seine Errichtung mit sich bringt.
Der in Bau befindliche Semmering-Basistunnel (SBT) ist aktuell eines der wichtigsten Infrastruktur-Großprojekte im Herzen Europas und Teil der neuen österreichischen Südbahn. Diese führt als zentrale Achse auf der transeuropäischen Route von der Ostsee an die Adria. Mit einer Gesamtlänge von 27,3 Kilometern verbindet der SBT Niederösterreich und die Steiermark. Dabei soll er die Reisequalität für die Fahrgäste verbessern und die Leistungsfähigkeit des Schienengüterverkehrs deutlich erhöhen. Voraussichtlich ab 2028 reisen Fahrgäste umweltfreundlich und sicher mit der Bahn in weniger als zwei Stunden von Wien nach Graz. Ab diesem Zeitpunkt wird auch der Güterverkehr energieeffizient auf der neuen Strecke abgewickelt. Was bisher auf der Weststrecke mit attraktiven Fahrzeiten und dichten Zugintervallen erlebbar ist, wird somit bald auch auf der Südstrecke umgesetzt. Durch den Semmering-Basistunnel wird die Bahn auch auf der Nord-Süd-Verbindung Österreichs zu Auto und LKW konkurrenzfähig. Diese Fortschritte müssen hart erkämpft werden, denn die enorm schwierigen geologischen Bedingungen im Berg sind eine große Herausforderung für ein Infrastrukturprojekt dieser Größe. Zweifellos ist das in drei Bauabschnitte eingeteilte Projekt hochkomplex, dauert bereits seit 2012 an und beschäftigt mehrere Konsortien renommierter Bauunternehmen.
Ein Mittelstück um 623 Millionen
SWIETELSKY erhielt 2014 in einer Arbeitsgemeinschaft (ARGE) gemeinsam mit Implenia den Zuschlag für das rund dreizehn Kilometer lange Mittelstück (Los 2.1) „Tunnel Fröschnitzgraben“. Der Auftrag der ARGE hat ein Volumen von rund 623 Millionen Euro und ist eine Auszeichnung für die SWIETELSKY Tunnelbau GmbH & Co KG. Diese sei auf Untertagebauprojekte hochspezialisiert und könne dabei auf jahrzehntelange Erfahrung zurückgreifen, betont deren Geschäftsführer Johann Keil. Dennoch, unter allen großen Tunnelbauprojekten, bei denen SWIETELSKY engagiert ist – von Stuttgart 21 über den Albaufstieg der Bahnstrecke Wendlingen–Ulm bis hin zum Tunnel Wolf beim Brenner-Basistunnel – sei der Fröschnitzgraben zweifellos ein herausragendes.
Komplexe Vertikallogistik
Die Besonderheiten liegen unter anderem in der komplexen Logistik, nach der das gesamte Tunnelsystem über zwei ca. 400 Meter tiefe Vertikalschächte aufgeschlossen und angedient wird. An ihrem Fuß entstand eine Kaverne – eine gigantische Baustelle unter der Erde, die später zur unterirdischen Nothaltestelle wird. Die Herstellung der Schächte sowie Lieferung, Installation und Betrieb der Schachtanlagen erfolgten durch SWIETELSKY im Auftrag der ARGE. „So werden über die Schächte mehr als fünf Millionen Tonnen Ausbruchsmaterial nach oben gefördert und die Versorgung mit Geräten und Baustoffen durchgeführt“, so Keil. Die Anlagen seien derart ausgelegt, dass auch die schwersten Teile der Tunnelbohrmaschinen mit einem Maximalgewicht von 109 Tonnen im Förderkorb (vergleichbar mit einem Lift) an- und abtransportiert werden können. Beachtlich ist auch die installierte Leistung an den Schachtförderanlagen. Mit 10 100 Kilowatt entspricht sie dem Leistungsbedarf von ca. eintausend Einfamilienhäusern.
3500 Tonnen schwere Tunnelbohrmaschinen
Der Großteil des 27 Kilometer langen SBT sowie alle Zugänge werden im klassischen Bagger- und Sprengvortrieb errichtet. Bis Mitte 2018 haben sich die Arbeiter daher förmlich in Handarbeit in die Tiefe des Berges gesprengt. „Ab dann erhielten sie Unterstützung von Großmaschinen“, verweist Keil stolz auf zwei 120 Meter lange und jeweils 1750 Tonnen schwere Vortriebseinheiten – eine pro Tunnelröhre –, die sich seither beim Semmering-Basistunnel vom Fröschnitzgraben in der Steiermark mehr als acht Kilometer in Richtung Gloggnitz durch den Berg fressen. Gemeinsam sind sie in etwa so schwer wie 800 Elefanten. Die Geologie und wirtschaftliche Überlegungen entscheiden, wo Tunnelbohrmaschinen zum Einsatz kommen können. Beim Semmering-Basistunnel ist das in rund einem Drittel des Tunnels der Fall. Die Maschinen wurden in Frankreich gebaut und legten vor ihrem Einsatz eine tausend Kilometer lange Reise bis zum Semmering zurück. Aus Gründen der Transportlogistik (Abmessungen und Gewicht) wurden sie in Einzelteilen angeliefert und 400 Meter unter der Erde zusammengebaut.
Produktion von Tübbingen
Für ihre Arbeit benötigen die Maschinen insgesamt 50 000 Stück sogenannte Tübbinge, die kontinuierlich durch die Versorgungsschächte gebracht werden. Das sind jeweils sieben Tonnen schwere Betonfertigteile. Je sechs Tübbingsteine ergeben einen Tübbingring und somit zwei Meter Eisenbahntunnel. Diese Betonfertigteile werden von der Tunnelbohrmaschine direkt nach dem Ausbrechen des Gebirges zur Stützung des Hohlraumes eingebaut. Zuvor werden sie von SWIETELSKY im niederösterreichischen Neunkirchen produziert. Für eine Strecke von 8,2 Kilometern entstehen dort 49 200 Tübbinge aus Beton. Dafür unterhält man eine Produktionsanlage mit 48 Präzisionsschalungen, einem Karussellsystem mit Betoniereinrichtung sowie maßgeschneidertem Handlingequipment. „Das ist quasi Puzzlespielen für Erwachsene. Wir müssen jeden Tag genug Tübbinge betonieren, damit der Semmering-Basistunnel nicht zum Stillstand kommt. Das heißt, wir müssen alle zwölf Minuten einen Stein vom Band lassen“, schildert Georg Putz, Bauleiter in der Tunnelbausparte von SWIETELSKY. Die Anlage verbindet hochwertigen Stahlbau mit moderner Automatisierungstechnik, sodass am Tag bis zu 120 Stück der Betonsegmente gefertigt werden können. Diese haben eine Dimension von circa sechs mal zwei Metern und wiegen rund siebeneinhalb Tonnen. Die Tübbingproduktion beginnt bei der Bewehrung. Dazu Georg Putz: „Wir haben rund vierzig verschiedene Formen an Bewehrungskörben. Genau dieser eine Bewehrungskorb, der später gebraucht wird, muss vor Ort just in time gefertigt, kurz zwischengelagert und dann in die Schalung eingehoben werden.“ Dann geht es schon Richtung Betonierkammer, wo ein Mitarbeiter den Beton einbringen und rütteln muss. Der nächste Schritt nach dem Betonieren ist das Nachbearbeiten. Hier muss der Beton geglättet werden. Das sei wichtig, damit eine Form stabil ist, meint Putz. Von der Arbeitslinie geht es in die sogenannte Wärmekammer zum Aushärten, denn bereits nach acht Stunden muss der Beton wieder aus der Schalung heraus. Wenn er gehoben wird, ist er noch sehr empfindlich, weswegen er in ein Reifelager gestellt wird. In der Halle bleiben die Tübbinge also ein bis zwei Tage und kommen dann ins Freilager, wo rund 6600 einzelne Tübbinge kurzzeitig zwischenlagern. Schließlich werden sie mit Spezialfahrzeugen von Neunkirchen zum Einbauort am Fröschnitzgraben transportiert. Ein Fahrzeug kann sechs Steine transportieren, das entspricht einem Ring pro Fahrzeug, und ein Ring reicht schließlich für zwei Meter Semmering-Basistunnel. Je nach Geologie werden unterschiedliche Betonsorten gebraucht. Es gibt auch geometrisch unterschiedliche Ringsorten. Da schließt sich der Kreis zum Puzzle. Jeder Stein hat seinen fixen Platz. Die automatisierten Arbeitsschritte im Neunkirchner SWIETELSKY-Werk wirken sich positiv auf die Qualität der Tübbinge aus. Außerdem profitiert man von einer niedrigen Ausschussrate und einer hohen Anlagenverfügbarkeit.
Vortrieb aus Ost und West
Im kontinuierlichen Vortrieb kommen die beiden Tunnelbohrmaschinen Carl und Ghega in Richtung Osten nach Niederösterreich erfolgreich voran: Trotz zeitlich versetztem Start sind sie mittlerweile fast gleichauf und haben bereits drei Viertel ihres Weges hinter sich gebracht, da eine Maschine von den Erfahrungswerten der anderen „lernen“ konnte. Über 37 000 Tübbinge wurden so bereits eingebaut. Im zyklischen Bagger- und Sprengvortrieb in Richtung Westen sind die Mineure gut vorangekommen, sodass im Februar 2021 die Vortriebsarbeiten in einer Röhre abgeschlossen werden konnten. In der zweiten Röhre werden die Arbeiten demnächst beendet sein. Glück Auf!